Den meisten Menschen fällt in aller Regel gar nicht auf, daß sie atmende Wesen sind. Die Atmung, vom autonomen Nervensystem gesteuert und deshalb nicht auf bewußte Signale angewiesen, versorgt unseren Körper, die Organe mit lebenswichtigem Sauerstoff – ohne unser bewußtes Zutun.
Beim Schlafen zum Beispiel atmen wir ganz von selbst ein und aus, ohne daß unser Bewußtsein eingreifen muß. Und im Alltag ist es meistens genauso.
Das Lebensnotwendige passiert einfach so.
Und da das so prima ohne unser Zutun funktioniert, jedenfalls solange wir keine Atemwegserkrankungen haben, merken wir auch nicht, wie wir atmen.Eher flach, eher in die Brust, eher in den Bauch, eher langsam, eher schnell.Wie wir atmen ist ganz unterschiedlich und abhängig davon, was wir gerade tun und wieviel Sauerstoff benötigt wird.
Wie wir atmen ist aber nicht nur eine Frage der momentanen Tätigkeit, sondern zeigt auch an, wie wir uns fühlen.
Wir erschrecken uns – und halten den Atem an. Wir haben Angst – unser Atem wird flach. Wir fühlen uns frei und gelöst – unser Atem geht ruhig dahin.
Diese enge Verbindung von Atmen und Fühlen interessiert uns in der Körperpsychotherapie.
Wenn wir uns in der Therapie Zeit nehmen, auf den Atem zu achten, ihn bewußt wahrzunehmen, kann uns das helfen, uns selbst auf die Spur zu kommen. Zu spüren, welche Gefühle uns gerade umtreiben und wahrgenommen werden wollen.
Wahrnehmung heißt ja nichts anderes als etwas für wahr nehmen.
Ja, ich bin sauer. Worauf, auf wen, wie lange schon ?
Oder Ja, ich fühl’ mich traurig ? Was macht mich traurig ? Ist die Trauer neu, bekannt oder mit anderen Gefühlen vermischt ?
Wenn etwas für wahr genommen wird, geht es nicht darum, ob etwas richtig oder falsch ist, es ist einfach da. Wie unsere Atmung – sie ist einfach da.
Möglicherweise registrieren Sie, dadurch, daß Sie im Moment darüber lesen, ihren Atem.Dann denken Sie bitte daran, daß es dabei kein „richtig oder falsch“ gibt.Nehmen Sie einfach wahr, was Sie wahrnehmen und lassen Sie sich dabei ganz im Wortsinn zu Atem kommen.
Die Atmung ist nicht nur ein Ausdruck unserer Gefühle, sie reguliert sie auch. Da sie autonom funktioniert, geschieht die Regulierung ebenso autonom und unbewußt.
Je weniger und flacher ich atme, desto weniger spüre ich. Es macht ja Sinn, daß der Atem bei Angst flach ist. So bekomme ich nicht die ganze Wucht der Angst mit. Bei starkem Schrecken stoppt der Atem für eine kleine Weile so gar ganz.
Wenn wir uns in der Therapie dem Atem zuwenden mit der Aufforderung zu atmen, möchten wir das, was reguliert wird, bewußter und damit wahrnehmbarer machen. Denn so oft die Regulierung Sinn macht, sie kann auch hinderlich sein.
Wenn ich z.B. Gefühle von Trauer unbewußt herunterdimme, indem ich unbemerkt flach atme, komme ich nicht dazu, diese Trauer zu bewältigen und sie hinter mir zur lassen. Das gilt für jedes unbewußt heruntergedimmte und damit der bewußten Wahrnehmung entzogene Gefühl, ob es Angst oder Freude, Trauer oder Neugier ist. Alles, was wir unbewußt herunterdimmen, steht uns nicht zur Verfügung. Sobald wir es ins Bewußtsein holen und wahrnehmen, können wir uns entscheiden, was wir damit tun oder nicht tun möchten und sind um ein Stück Selbst-Bewußt-Sein reicher.
Nur das, was wir wahrnehmen, können wir verändern.
Deshalb wenden wir uns in der Therapie immer wieder der Atmung zu, um uns selbst wahrzunehmen und Veränderung zu ermöglichen.